Würde im Herbst und Winter unseres Lebens

Dr. Elke Preusser-Franke

Je älter wir werden, umso stärker sollte unser Handeln von der Frage geprägt sein, was wir hinterlassen wollen.

Welche Spuren werden wir gezogen haben, wenn es dereinst keine Zukunft, sondern nur noch eine Vergangenheit von uns gibt ?

Altwerden und Altsein beinhalten einen Auftrag, den wir den jüngeren Generationen mit auf ihren Weg zu geben verpflichtet sind.

Und dieser Beitrag unserer - der ältesten - Generation ist gleichsam wichtigster Bestandteil unserer Würde.

Er ist die immanente Eigenschaft dieses letzten Lebensabschnitts:
Es ist unsere Lebenserfahrung!

Warum teilen wir eigentlich die Menschheit stets in „Junge und Alte“, - wohl wissend, dass die Bezeichnung „alt“ nichts mit „Würde des Alters“ zu tun hat.

Warum differenzieren wir uns nicht nach unserer Lebensleistung, also z.B. in Menschen mit „geringer und hoher Lebenserfahrung“?

So bekämen die Menschen im letzten Lebensabschnitt jene ihnen tatsächlich zustehende Würde, die sie sich durch ihre Lebensleistung erarbeitet und verdient haben.
Damit wäre auch die Meinung über uns „Alte“ in der Gesellschaft eine viel Bessere.

In einer Gesellschaft, die dem Jugendwahn verfallen ist, verbreiten die Medien das Trugbild der ewigen Jugend; wirbt die Werbung mit Models, die jede Ehefrau unattraktiv für den Mann erscheinen lassen muss.


Wortkombinationen, wie „alt und hässlich“ „alt und grau“ stehen solchen wie „jung und schön“, „jung und dynamisch“ gegenüber, - und vertiefen die Kluft zwischen den Lebensabschnitten.

Scheinbar hat jede Frau die zweifelhafte „Pflicht“, jünger zu erscheinen, so dass Altsein fast wie etwas Unanständiges gilt.

Lächerliche Komplimente sollen hinweghelfen, wie z.B. „Sie werden immer jünger“, „Sie haben sich überhaupt nicht verändert“...
Jede Frau musste sich solche Lügen schon anhören!!

Warum wollen wir nicht wahrhaben, dass jedes Alter seinen Charme hat, gerade weil unsere Würde im letzten Lebensabschnitt jene Eigenschaften trägt, die wir uns aufbauen durften:
- Die sich vertiefende Liebe von Kindern und Enkel,
- den ständig wachsenden Freundes- und Bekanntenkreis,
- die bleibende Anerkennung aus beruflicher, gesellschaftlicher und ehrenamtlicher Tätigkeit,
eben jenen selbst geschaffenen Lebensmittelpunkt im vertrauten Gemeinwesen.

Ein hohes Alter ist von Vorteil, weil nur ein mehrere Zeit-Epochen überspannendes Leben all jene weiterzugebenden Erfahrungen hat.
“Fragt uns, wir sind die Letzten“, sagen wir zu den Jüngeren, die weder Krieg noch Judenverfolgung erleben mussten.
Die junge Generation trug noch keine Verantwortung in den beiden deutschen Diktaturen, oder war noch gar nicht geboren. Jene Ären haben nur wir Alten erlebt.
Deshalb lautet unser Auftrag uns einzubringen, wenn freiheitliche Demokratie missachtet wird, und leichtfertig-jugendliche Reden einen neuen Antisemitismus erkennen lassen.

Hier verlangt es unsere Würde als Zeitzeugen einer bitteren Lebenserfahrung, jenen Anfängen zu wehren, die als totales Chaos für ganz Europa 1945 endeten.

Unsere Generation der heute 60- bis 100-Jährigen erlebte zwei Weltkriege, Bombenangriffe, Vertreibungen und Verluste von Familie und Existenz.
Ich wurde Bürger der unterschiedlichsten Staaten, ohne meinen Geburtsort Dresden je verlassen zu haben:
Geboren in Hitler-Deutschland, kam ich als Sächsin zur Sowjetischen Besatzungszone, wurde ich DDR-Bürgerin und schließlich Bundesbürgerin.
Ich erlebte militärische Invasionen, einige niedergeschlagene und eine friedliche Revolution, lebte unter Nazis und Kommunisten... und war als Jüdin immer eine Fremde im eigenen Land.

Ich lernte, dass die Geschichte unseres jüdischen Volkes, seine Religion und Tradition, die Grundlagen unseres Überlebens sind, die von den Großeltern weitergegeben werden.
So begriff ich, warum Hitler stets zuerst die Ältesten unter den Juden aller besetzten Gebieten ermorden ließ.

Auch Stalin schaffte es, Generationen ohne Kenntnisse über ihr eignes jüdisches Volk aufwachsen zu lassen, denn ein Volk, dass seine Geschichte vergisst, hat auch keine Zukunft!

Unser Jüdischen FrauenVerein, der sich in Dresden als Anlaufstelle für jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion versteht, wurde vor 10 Jahren mit dem Ziel gegründet, helfend und beratend die von gottlos-kommunistischer Regierung
verursachten Wissenslücken zu schließen.

Als Pädagogin, die selbst ein langes Leben im jüdischen Brauchtum gelebt hat, kann ich etwas von meiner Lebenserfahrung weitergeben. Ich habe meine Ruhestandszeit zur Verfügung, den großen Nachholbedarf in den neu entstandenen Jüdischen Zentren mit zu decken.

Jüdinnen wurden stets doppelt diskriminiert. Dem setzt unser Verein die hohe Bedeutung einer jüdischen Frau, Mutter, Großmutter in der eigenen Familie entgegen.


Diese Wahrnehmung unserer Verantwortung für unsere Familien und damit letztendlich für den Weltfrieden überhaupt, ist eine immanent-weibliche Eigenschaft, die unsere Würde als Frau ausmacht und auf unserem stärkeren emotionalen Herangehen beruht.

Welche Gesellschaft kann es sich leisten, Humankapital zu vergeuden?
Doch die Erfahrungen unseres langen Lebens liegen viel zu oft brach!

Besonders die Würde der Frau ist ein wertvolles Gut.
Wird dieses Humankapital seinem Auftrag gerecht genutzt, wird auch eine Gesellschaft spirituell immer reicher!

Doch wir Alten fühlen uns in der modernen Gesellschaft zu oft übergangen. Unsere Würde, besonders die der Frauen, wird zu selten nicht als Handlungsauftrag genutzt, zu schnell als veraltet abgetan.

Und dabei haben wir den Vorteil, alle Lebensstationen bereits durchlaufen zu haben.
Wir können die Ratschläge geben, und nicht jene, die erst ins Leben hineingehen!

Wo in Großfamilien auch die Alten einen würdigen Platz einnehmen, aus Ihrer Erfahrung die richtigen Schlüsse gezogen werden, ist das Überleben der Generationen gesichert.

Vereinigungen haben Ältestenräte, von deren ehrenamtlicher Basis beide profitieren: Der Verein spart Mitarbeiterlöhne, und jene Alten brauchen, vom Wettbewerbszwang mit den Jungen befreit, ihr gespeichertes Wissen nicht ungenutzt mit ins Grab zu nehmen.

Ich nutze als Pensionärin diese Chance, tätig zu sein.
Die viel zitierte Lebenserfahrung als alter Mensch weiterzugeben, heißt Würde als Verantwortung, als Beitrag und Auftrag im Handeln, in diesem letzten Lebensabschnitt zu empfinden.

Und schließlich bedeutet Älterwerden auch, für mich persönlich durch meinen Glauben, sich dem Reich Gottes zu nähern. Je länger unser letzter Lebensabschnitt andauert, umso dichter stehen wir an der Pforte zum ewigen Leben.

So könnten wir wiederum die Menschheit danach differenzieren, wie weit sie auf dem „Weg“ voran geschritten sind.
Denn der Tod ist nicht das Ende, sondern das Erreichen einer Höheren Stufe, und wir, die wir ein „würdiges Alter“ erreicht haben, sind auf dem Weg dahin am weitesten voran.

Von den Erfahrungen im letzten Lebensabschnitt zu profitieren heißt, uns Alten unsere Würde zu geben, wenn wir Euch zurufen:
Wir sind alt und damit wertvoll !!