Geschichte

Die Würde der Frau im Wandel der Zeiten

Zum Thema Würde der Frau gibt es zwei verschiedene Aspekte. Der innere Aspekt ist, unsere Würde in uns zu finden. Der äußere Aspekt ist der Prozess des Verlustes und Wiederfindens unserer Würde in der Geschichte bis hin zur Zukunft. In diesem Vortrag wollen wir uns dem äußeren Aspekt zuwenden.

Von der Göttin zur Sünderin

Die Geschichte wird aus einer eindeutig androzentrischen Perspektive gesehen. Blättert man in den gängigen Geschichtsbüchern ist seltsamerweise fast ausschließlich von Männern die Rede. Frauen werden meist nur dargestellt als Intrigantinnen, Giftmischerinnen und machtgierige Herrscherinnen.

So wurde auch in der Forschung und Archäologie, die sich mit den Anfängen der Menschheit beschäftigt, die altsteinzeitliche Kunst als maskuline Jagdszene interpretiert. Erst jetzt entdeckt man, dass die „Waffen“ Pflanzendarstellungen sind und dass weibliche Symbole eine zentrale Position einnehmen. Die männlichen Symbole gruppieren sich in peripheren Positionen, was zeigt, dass die Frau eine ehrenvolle und bedeutende Rolle einnahm. Wandmalereien und archäologische Funde von Sibirien bis nach Mitteleuropa lassen auf die Konzeption eines höheren weiblichen Wesens schließen. Nach Riane Eisler (Autorin) war bis in die Jungsteinzeit und darüber hinaus die vorherrschende Ideologie gynozentrisch, in ihrem Mittelpunkt stand die Frau, repräsentiert durch eine Gottheit in weiblicher Gestalt. So war für eine männliche Dominanz über die Frauen oder die generelle Überlegenheit „maskuliner“ gegenüber „femininer“ Werte keine Grundlage.


So finden wir zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Kulturen die Erhöhung der Weiblichkeit zur Göttin. Bei den Germanen wurde die Frau als Priesterin und Heilerin geachtet. Den Ägyptern galt Isis als Gottesmutter. Die Pharaonen beriefen sich darauf, Söhne der Isis zu sein. In der Hindu Mythologie ist Aditi (Sanskrit: Die Grenzenlose) die Personifikation des Unendlichen, Mutter der Himmelsgötter, die den Himmel trägt, jede Existenz erhält und die Erde nährt. Im tibetanischen Buddhismus ist Tara eine der Hauptgottheiten. Als Vermittlerin der All-Liebe nennt man sie auch „Mutter aller Buddhas“. Magna Mater, die große Mutter, war eine römische Göttin, welche 204 v.Chr. in Rom eingeführt wurde.

In Syrien und Palästina wurde Ascherat (Ischtar) als Königin des Himmels verehrt. Als Begründerin des japanischen Kaiserhauses gilt Amaterasu, zu deutsch «Am Himmel scheinende große erlauchte Göttin». Es gibt noch viele andere weibliche Gottheiten, denken Sie nur an Aphrodite, Ceres, Venus und Demeter.

Der Niedergang der gynozentrischen Gesellschaft begann mit den Invasionswellen von indo-
europäischen Hirtenvölkern, die ihre Kriegsgötter mitbrachten. Das Kernstück ihres Systems war, dass sie die Macht Leben zu nehmen höher bewerteten als die, die Leben gibt. Macht wurde gleichbedeutend mit beherrschen und zerstören. Die ursprüngliche Bedeutung der Macht als lebensspendende und nährende Kraft wurde vergessen.


Mit den zerstörerischen Eroberungswellen ging auch eine kulturelle Verarmung einher. Die Göttinnen wurden Gattinnen der mächtigen Kriegsgötter, wurden ermordet oder durch Vergewaltigung entwürdigt. Auf diese Weise wurde den Frauen ihre Entscheidungsbefugnis und spirituelle Autorität genommen.

In der antiken Welt wurde dann die Schönheit der Frau als gefährlich und verführend für die Männer dämonisiert. Griechische Philosophen behaupteten, dass Männer Menschen im vollsten Sinne sind und Frauen defizitäre Wesen, Ergebnis von verdorbenem Sperma. Für Aristoteles dienten Frauen nur als Nährboden, um Kinder zu produzieren.

Zur Zeitenwende begann, inspiriert durch die Lehre Jesu Christi eine Bewegung, die Ansätze zur Gleichberechtigung der Frau in sich trug. Er schockierte die religiösen Autoritäten mit seiner Verkündigung, dass Juden und Griechen, Knechte und Freie, Männer und Frauen spirituelle Gleichheit besitzen. Im frühen Christentum hatten Frauen hohe Führungsaufgaben inne. Die Versammlungen fanden oft in den Häusern seiner Jüngerinnen statt. Aber Jesu Erkenntnis, dass unsere spirituelle Evolution durch ein neues Wertesystem, dass die weiblichen Werte mit einschließt, zu einer fundamentalen Gesellschaftsveränderung führen würde, konnte die Obrigkeit damals und kann sie bis heute nicht akzeptieren.

Dr. Christa Mulak sagt dazu: „Viel wichtiger als die Tatsache, dass Jesus ein Mann war, erscheint mir seine nachweisbare Wertschätzung des Weiblichen. Diese Haltung kann für Frau und Mann gleichermaßen als vorbildhaft angesehen werden. So wie nur Mann und Frau gemeinsam den Menschen abgeben, kann auch das Göttliche aus der polaren Einheit von Männlichem und Weiblichem bestehen. Ein solches Gottesbild hat die Theologie bis heute noch nicht entwickelt... ein Versäumnis.....“

Nach Christus schöpfte der große Kirchenvater Augustinus aus dem Erbe des Neuplatonismus, für ihn stand der Mann über der Frau wie die Seele über dem Leib, das Höhere über dem Niedrigeren.


Thomas von Aquin übernahm die Ansichten von Aristoteles und viele der damaligen Kirchenväter folgten dieser Denkweise. Es wurde sogar darüber diskutiert, dass Frauen, um gerettet zu werden, als Männer auferstehen müssten. Sie stellten sich den Himmel ohne Frauen vor, oder zumindest, dass die Frau in der Hierarchie unter dem Mann steht.

Von den beiden theologischen Interpretationen der Schöpfungsgeschichte (Genesis 1 wurde wissenschaftlichen Erkenntnissen gemäß viel später geschrieben als Genesis 2 und 3) wurde diejenige, dass die Frau aus der Rippe des Mannes geschaffen ist, zur gedanklichen Leitlinie. Demnach wurde der Mann sogar als Ursprung der Frau angesehen. Tertulian (200 nach Christus) warf den Frauen vor, für Sünde und Verführung verantwortlich zu sein und dass ihretwegen die Menschheit sterblich wurde. Es ging soweit, dass die Frau für den Kreuzestod Jesu verantwortlich gemacht wurde.

Während der dunklen Jahrhunderte der Inquisition degradierte der Hexenhammer oder „Malleus maleficarum“ von 1487 die Frauen zu unvollkommenen Tieren. Sexuelle Begierde wurde nur mit Frauen identifiziert.

Noch im Jahre 1910 schrieb Max Funke, ein deutscher Philosoph, ein Buch, worin er beweisen wollte, dass Frauen keine Menschen sind.

Glücklicherweise gab es in der Geschichte auch Männer, die Würde und Rechte der Frauen verteidigten. Im Mittelalter war ein herausragender Verfechter der Rechte der Frauen Friedrich von Spee. Unter Lebensgefahr ging er gegen die Hexenvernichtung an.

Was nun haben die Frauen selbst getan, um ihren Wert und ihre Würde zu schützen?

Im christlichen Bereich gibt es ganz klar eine Geschichte weiblicher Theologietraditionen von den Jüngerinnen Jesu über Diakoninnen und Predigerinnen der christlichen Urgemeinden bis zu den Mystikerinnen des Mittelalters.

Die venezianische Theologin und Schriftstellerin Christine de Pizan (1405) schrieb in ihrem Buch von der Stadt der Frauen über diese weibliche Geschichte der Theologie, die so beharrlich totgeschwiegen wird. Sie sagte, die Werke der Frauen sind Leitern, die in den Himmel führen.

Immer wieder hat es in der Geschichte große Frauen gegeben, die für andere eine Hoffnung waren, die ihnen den Weg zu einem würdevollen Leben gewiesen und vorgelebt haben. Ihnen allen möchte ich danken. Zu lange würde es in diesem Rahmen dauern, sie alle zu erwähnen. Nur einige Beispiele möchte ich hervorheben.

Das gilt für Margarete Porete, die am Ende des 13. Jahrhunderts die Männer der Kirche zu mehr Demut vor Gott aufrief. Sie wurde 1310 als Ketzerin gesteinigt und ist bis heute noch nicht rehabilitiert. Eine bis heute hochgeachtete Frau ist die Mystikerin Hildegard von Bingen.

Weiter bewiesen im Mittelalter die Nonne Roswitha von Gandersheim als Dramatikerin, Wilhelmine von Böhmen als Religionsführerin und Jeanne D’Arc als Soldatin, dass Frauen in damals als männlich definierten Berufen nicht unterlegen waren. Königinnen im Mittelalter, wie Mathilde von Schottland (Gemahlin Heinrich I. von England) und Philippa von Hainault (Gemahlin Eduards III. von England) hatten sogar einen erheblichen und sehr positiven politischen Einfluss.


In der Renaissance gab es gleichfalls mächtige Frauen, wie Diana von Potiers, Margarete von Navarra, Katharina von Medici und Elisabeth I. von England.

Im 17. Jahrhundert traten einige Frauen wie die schwedische Königin Christina und Dichterinnen wie die Gräfin La Fayette und Aphra Behn als Gelehrte und als Autorinnen hervor.

Wichtige Beiträge zur Wiederherstellung der Würde der Frau, ihres Wertes und Platzes in der Gesellschaft hat die Frauenbewegung geleistet. Eine ihrer Vordenkerinnen war die englische Schriftstellerin Mary Wollstonecraft. In ihrem Buch „Verteidigung der Frauenrechte“ (1792) versichert sie: „Die Frau wurde nicht nur geschaffen, um den Mann zu trösten.... Auf diesem Missverständnis hinsichtlich der Geschlechtsunterschiede wurde das völlig falsche System errichtet, das unser Geschlecht seiner Würde beraubt.“ Sie forderte daher eine gleichberechtigte, umfassende Erziehung für alle Frauen damit sie sich aus der sexuellen Unterdrückung befreien könnten. Mary Wollstonecraft wurde durch ihr Buch zwar zu Lebzeiten berühmt- oder eher berüchtigt-, nach ihrem frühen Tod aber alsbald vergessen. Nachfolgende Generationen beschäftigte vor allem das große feministische Manifest von John Stuart Mill „Die Hörigkeit der Frau“ (1869). Der scharfsinnige Essay einer der hervorragensten englischen Denker gewann erheblichen Einfluss auf die Frauenbewegung. Mill schrieb ihn nach dem Tod seiner Frau, die den Anstoß dazu gab und die man eigentlich als seine Mitautorin betrachten kann.


Die erste Welle der modernen Frauenbewegung

Die erste Welle der modernen Frauenbewegung oder Frauenrechtsbewegung (Mitte des 19. Jahrhunderts bis Anfang des 20. Jahrhunderts) kämpfte für die grundsätzlichen politischen und bürgerlichen Rechte der Frauen wie z. B. das Frauenwahlrecht, das in Deutschland erst im November 1918 rechtlich verankert wurde, das Recht auf eine Erwerbstätigkeit und das Recht auf Bildung. Um die Schwierigkeit der Durchsetzung dieser Forderungen verständlich zu machen, muss man wissen, dass in den USA noch 1887 der Senator George C. Vest schrieb, dass man die Frauen durch das Wahlrecht nicht erniedrigen dürfe. „Das würde sie von dem Sockel stoßen auf dem sie heute steht wenn sie das Tun ihres Gatten durch ihre freundliche und liebenswerte Zärtlichkeit zum Guten und Reinen hin beeinflusst.“

Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten sich zwei Strömungen. Eine setzte sich Selbstbestimmung und freie Entfaltung der Persönlichkeit zum Ziel. Die andere basierte auf den Klischees der weiblichen Tugenden und der Frau als guter Geist im Haus. Aus letzterem entstand der religiöse Feminismus, der sich später zum Opferfeminismus entwickelte.

Die emanzipatorischen Forderungen zur Gleichstellung der Frau, wie sie sich dann in Frankreich und England entwickelt haben, gewannen erst verspätet Anfang des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland an Einfluss. Die Diskussion um eine neu zu definierende Rolle der Frau fand zunächst in literarischen Zirkeln statt. Zu nennen wären da Karoline Schlegel-Schelling (1763-1809), Rahel Varnhagen (1771-1833) und Bettina von Arnim (1785 –1859).

Am 19. März 1911 fand ein erster internationaler Frauentag gleichzeitig in Deutschland, Österreich und der Schweiz statt. Auf allen Kundgebungen wurde eine Resolution verabschiedet, die der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland den nötigen Nachdruck geben sollte.

Der Internationale Frauentag von 1914 wurde dann angesichts des ersten Weltkriegs ein demonstratives Bekenntnis für den Frieden.

Die erste Welle der Frauenbewegung in den USA entstand im Zuge der Anti-Sklaverei-Bewegung. Unter den „Abolitionisten“ befanden sich auch viele oft religiös motivierte Frauen. Sie erkannten, dass nicht nur die Bürgerrechte der Afroamerikaner, sondern auch die der Frauen nicht denen der weißen Männer entsprachen. So wurde 1848 die „Seneca Falls Declaration“ verabschiedet, die sich bewusst an der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung orientierte und vor allem das Wahlrecht für Frauen und eine Reform der Ehe- und Besitzrechte forderte.

Nach Ende des zweiten Weltkriegs hatten die Frauen in Europa zunächst die Männer zu ersetzen, die in Gefangenschaft geraten oder gefallen, krank oder arbeitsunfähig waren. Oft waren sie der Haushaltsvorstand, der die Familie zu ernähren hatte. Die Probleme dieser besonderen Situation führten schon direkt nach dem Krieg zur Gründung der ersten Frauenvereinigungen. (1945 der „Berliner Frauenbund“).

Die zweite Welle der Frauenbewegung

Die zweite Welle der Frauenbewegung (seit den 1960er Jahren), die über den Feminismus ein Theoriekonzept herstellte, ging über das Ziel einer 'Gleichberechtigung' von Mann und Frau auf politischer, sozialer und sowohl beruflicher als auch privater Ebene hinaus. Inspiriert vom politischen Klima der 1960er Jahre, ging es nicht mehr bloß darum, an den von Männern geprägten Institutionen teilzunehmen, sondern diese generell in Frage zu stellen, insbesondere ihres hierarchischen Charakters wegen. Deswegen verstanden sich zumindest Teile der zweiten Phase als autonome Frauenbewegung. Diese zweite Welle war Teil der neuen sozialen Bewegungen.
In einem Aufruf der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung, Dezember 1956, heißt es, dass Friede eine besondere Aufgabe der Frauen ist. „Wir sind uns bewusst, dass die Frau, die ihrer Natur nach zum Behüten ausersehen ist, eine Verpflichtung im öffentlichen Leben hat, die ihr niemand abnehmen kann“.
Der Auslöser der zweiten Welle der Frauenbewegung war ein allgemeiner gesellschaftlicher Umbruch und Wertewandel in den 60er Jahren. Ihre Wurzeln hat sie aber bereits in den 40er Jahren in Frankreich. In Deutschland wurde sie im Zuge der Studentenbewegung zur sozialen Bewegung. In den USA wurden die Frauen durch die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner und die Massenbewegung gegen den Vietnamkrieg inspiriert, sich auch wieder stärker für ihre eigene gesellschaftliche Gleichstellung zu engagieren.
Die besonderen Merkmale dieser Frauenbewegung waren:
1.) an den Protestformen der anderen sozialen Bewegungen orientierte spektakuläre Aktionsformen
2.) „Consciousness Raising“, über Seminare u.ä.: das Bewusstmachen der Unterdrückung der Frauen, die, schon von Geburt an auf ihre soziale Rolle konditioniert, es oft gar nicht wahrnahmen, dass sie gesellschaftlich benachteiligt waren
3.) Analyse der Unterdrückung und Schaffung eines Theoriegerüsts, das unter dem Begriff „Feministische Theorie“ bekannt wurde.
Aus den USA wurde die kritische Auseinandersetzung der entstandenen neuen feministischen Bewegung aufgenommen, wobei vor allem die Bücher von Betty Friedan großen Einfluss auf die bundesdeutsche Frauenbewegung hatten. Die Schriftstellerin Betty Friedan, geborene Betty Naomi Goldstein. entwickelte sich zur renommiertesten Frauenrechtlerin Amerikas. Sie gründete in den 60-er Jahren die „National Organization of Women" (NOW) und leitete sie als Präsidentin.
Die Urmutter der um 1967 entstandenen Frauenbewegung „Womens Liberation Movement" („Women’s Lib") in den USA ist keine radikale Feministin, sondern plädiert für eine soziale Partnerschaft zwischen Mann und Frau.


Anfang der siebziger Jahre bildeten sich in fast allen größeren Städten der Bundesrepublik Frauenzentren, Frauenforen und Frauenhäuser, in denen die Isolation der Frauen in Familie und Beruf aufgebrochen und ein frauenspezifisches Selbstbewusstsein aufgebaut werden sollte. In Selbsterfahrungsgruppen nach dem Vorbild der amerikanischen Frauenbewegung wurde versucht, auch auf konkreter Basis Frauen zu helfen, aus ihrer Vereinzelung heraus zu kommen und sich von der Ideologie zu befreien, sie seien minderwertig.
Mitte der 70er Jahre nahm die zweite Welle der Frauenbewegung an Wirkung ab. Die Feministische Theorie diversifizierte sich. Aber in dieser Zeit konnten die Frauen das veränderte Bewusstsein für sich nutzen und aktiv in Institutionen eindringen, um dort zu arbeiten und die Gleichstellung in der Gesellschaft voranzutreiben.


Die dritte Welle der Frauenbewegung

In den 90er Jahren zeichnete sich vor allem in den USA eine dritte Welle (Third Wave) der Frauenbewegung ab, die die Ideen der zweiten Welle in modifizierter Form fortsetzt. Neue Aspekte sind vor allem eine globalere, weniger eurozentrische Sichtweise, die Betonung der Notwendigkeit, dass auch Männer kollektiv ihr Selbstbild überdenken müssen, weil beide Geschlechter von ihrer Rolle eingeengt werden und nur so eine wirkliche Gleichberechtigung entstehen kann.
Es ist vor allem ein Generationenwechsel. Feminismus hatte unter der jungen Generation einen schlechten Ruf, galt als hausbacken und „uncool“. Andererseits sehen viele junge Frauen eine Gleichberechtigung der Geschlechter noch keineswegs verwirklicht. Die jungen Feministinnen der dritten Welle arbeiten weniger spektakulär als zielorientiert in Projekten und Netzwerken mit feministischer Ausrichtung, z. B. in der Third Wave Foundation (USA).

Der Feminismus hat sich seit seiner Entstehung in viele verschiedene Richtungen entwickelt. Je nach Umgebung, Kultur, wirtschaftliche Lage haben die Frauen verschiedene Konzepte entwickelt und unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt.

Auch gab es viele Missverständnisse über die Grundideen des Feminismus. Auf keinen Fall ist Feminismus gleichzusetzen mit Abwertung der Männer, wenn es auch einzelne Vertreterinnen gegeben hat, die sich dementsprechend geäußert haben.

Grundsätzlich gibt es zwei gegensätzliche Formen des Feminismus, den sittenstrengen, moralischen und selbstverleugnenden Feminismus und den freidenkerischen, lebensfrohen und selbstbewussten.

Naomi Wolf schreibt in ihrem Buch „Die Stärke der Frauen“, dass sie es nicht als sinnvoll erachtet, die Ohnmacht und Opferrolle der Frau in den Vordergrund zu stellen und gleichzeitig dem männlichen Geschlecht Herrschsucht und Aggressivität vorzuwerfen. „Mit einem solchen Denken ist niemanden gedient. Dieser Richtung des Feminismus möchte ich einen Power-Feminismus entgegenstellen. Seine Basis ist die Toleranz und die Achtung weiblicher Individualität, und er versteht sich als Feminismus des Optimismus und der Stärke.“

Geistige Freiheit und das gleiche Recht auf Bildung sind im Powerfeminismus leidenschaftlich verfochtene Ziele.


Was ist unsere Situationheute?


Insgesamt hat die Frauenbewegung überall viele Erfolge gehabt. Denken wir nur an das Wahlrecht, das Recht auf Bildung, Gleichstellung und Arbeitsrecht. Wir sehen, dass es heute überall auf der Welt Frauen in verantwortungsvollen Positionen gibt, sogar als Staatsoberhäupter.

Aber, wir sind noch sind nicht am Ziel angelangt, sonst wäre diese Konferenz hier unnötig.
Im Zusammenhang mit unserem Thema „ Würde der Frau“ ist wichtig zu erschließen, wo wir anknüpfen und auf was wir aufbauen können.

Als Ausgangsthese nimmt Gloria Steinem in ihrem Buch “Revolution from Within“ : Der erste Schritt eines Individuums in Richtung Ganzheit ist die Selbstachtung und -bestimmung.
Wenn Frauen die Bestimmung über ihr Selbst verwirklicht haben, muss der nächste Schritt sein, kraft dieser Selbstbestimmung ein anderes, gesellschaftlich wesentlich komplexeres Recht zu beanspruchen, das folgenreich und potentiell gefährlich ist- das Recht, Macht zu übernehmen und auszuüben und nicht nur sich selbst, sondern auch die Umwelt zu verändern und der Welt einen Stempel aufzudrücken.“

Das heißt, dass wir uns an einem Punkt befinden, wo unsere innere Entwicklung in direktem Zusammenhang steht mit unserem Einfluss auf die Gesellschaft. Das heißt, in anderen Worten, sobald wir die Würde in uns entdeckt haben, leben wir sie, tragen wir sie nach außen und beginnen uns in die Gesellschaft einzugeben mit unseren individuell unterschiedlichen Fähigkeiten und Interessen.

Richtig verstanden bedeutet das Leben unserer Würde auch Selbstvertrauen. Selbstvertrauen wiederum ist nicht nur Vertrauen in uns selbst, sondern auch das Vertrauen in unsere Fähigkeit, zur Veränderung der Welt beizutragen. Das Entdecken und Leben ihrer Würde ist für die Frauen unserer Gesellschaft die Voraussetzung jeglichen Fortschritts.

Wie sehr wir von den Frauenbildern der Vergangenheit beeinflusst und noch immer gehemmt sind, erkennen wir, wenn wir uns das Frauenbild des sogenannten Opferfeminismus anschauen: Zum Ideal vom guten Geist im Haus gehörte klaglose Selbstaufopferung, die bedingungslose Erfüllung der strengen Normen der Ehrbarkeit, die Kontrolle des Verhaltens anderen Frauen, der Glaube, dass eine Frau asexuell und die männliche Sexualität roh sei, die Überzeugung, Geldstreben und Ruhm würden den Menschen verderben, die Vorstellungen, sämtliche aggressiven Impulse von Frauen müssten im Keim erstickt werden, die Frau müsse bei Streit die Rolle der Friedensstifterin spielen, und die Überzeugung, die weibliche Natur sei grundlegend anders und moralisch besser als die männliche.

Zum Leben unserer Würde gehört also auch die Bereitschaft, uns einzulassen auf diese Bereiche, auch wenn sie uns noch nicht ansprechen oder uns Angst machen. Für mich persönlich sind das die Bereiche Geld und Macht. Der Missbrauch des Geldes in unserer Welt löst in mir eher das Verlangen aus, Geld zu umgehen, es nur als ein notwendiges Übel in Kauf zu nehmen. Ändere ich diese Einstellung, dann kann ich aus der Kreativität im Umgang mit Geld Freude empfinden.
Geld fließen zu lassen und einzusetzen für die Projekte, die für mich wichtig sind, bringt mir Befriedigung. Dazu gehört das Bewusstsein in Verbindung mit unserer Würde, dass wir berechtigt sind, Geld zu verdienen und zu entscheiden, was wir damit machen wollen.

Genauso verhält es sich mit der Macht. Macht ist in unseren Köpfen zu einer beherrschenden und zerstörerischen Kraft geworden. Wir setzen sie gleich mit Unterdrückung und Ausbeutung.
Seit Macht von ihrer ursprünglichen Bedeutung der lebensspendenden und nährenden Kraft entfremdet wurde, haben auch wir Frauen den Bezug dazu verloren. Zusammen mit unserer Würde können wir Macht wieder ihrer ursprünglichen Bedeutung zuführen, wenn wir sie annehmen und sie für die Veränderung unserer Welt zu einer Kultur des Friedens einsetzen.

Viele Frauen finden, unabhängig von ihrer finanziellen Situation oder ihren Beziehungen, Zugang zu einen Gut, das im heutigen gesellschaftlichen Leben immer wertvoller wird: zu Informationen. In der Wirtschaft werden zur Stärkung der Konzerne Informationen wie Briefmarken getauscht. Kennen Sie den Spruch „Wissen ist Macht“? Wir dürfen nicht vergessen, uns immer weiter zu bilden und uns in unseren Interessengebieten zu spezialisieren, wenn wir teilnehmen wollen an der Gestaltung des Friedens.

Weitere Bereiche sind Werbung und Medien. Wir ärgern uns über sexistische Werbung, pornografische Posen und Darstellungen und fühlen uns missbraucht. Heute noch fühlen sich die Frauen scheinbar hilflos ausgeliefert. Aber ich behaupte, dass Werbung und Medien in Wirklichkeit von uns Frauen beherrscht werden. Warum? Über 85% aller Konsumausgaben werden von Frauen getätigt. Darum ist die Werbebranche auf ein gutes Meinungsbild der Frauen angewiesen. Protestiert eine Frau in einem Leserbrief an eine Zeitschrift gegen eine sexualisierte Werbung, so wird ihrem Brief ein Gewicht beigemessen, als repräsentiere er die Meinung von 1000 bis sogar 10 000 Leserinnen. Also auch hier liegt es daran, dass wir unsere Würde leben und ihr Ausdruck verleihen.

In jeder Hinsicht haben wir Frauen hier in Europa die Möglichkeit aktiv an der Gestaltung unserer Gesellschaft teilzunehmen und den Platz einzunehmen, den wir einnehmen wollen.

Wir leben glücklicherweise hier in einer Kultur, in der uns das leicht bewusst werden kann und wir können dafür dankbar sein. Noch gibt es auf der Welt viele Frauen, die keine Chance haben, ihren Wert zu erkennen und ihre eigene Identität zu finden. Dort bedarf es guter Ausbildung beider Geschlechter um das wunderbare der gleichwertigen Beziehung zu erkennen und leben zu lernen.

Ich zitiere den Renaissance Philosophen Pico della Mirandola:
„Welch übergroßes und bewundernswertes Glück des Menschen, dem gegeben ist, zu haben was er wünscht und zu sein, was er zu sein verlangt.“

Entdecken wir was wir wollen! Unsere Vorfahrinnen haben uns den Weg geebnet. Wir haben die Chance, die Fähigkeiten, die in uns angelegt sind, zu wecken und zu entwickeln.